Mittwoch, 11. November 2015

Auf Columbus' Spuren

Eigentlich wollten wir Indien - und einiges mehr von Asien - entdecken. Aber es ging uns wie Columbus: wir landen in Amerika. Was heutzutage nur ein wenig einfacher und vorhersehbarer ist. Das große Auto wird auf ein RoRo-Frachtschiff verladen, wir fahren mit und wissen, wo wir ankommen. In ein paar Wochen rollen wir entspannt in Montevideo/Uruguay von Bord.

Haus und Hof wurde winterfest gemacht, dem Mercedes eine Rundum-Erneuerung spendiert und los gings, nach Hamburg zum Hafen. Auf dem Weg dahin haben wir noch bei einigen lieben Leuten vorbei geguckt und konnten uns wieder an das mobile Leben gewöhnen.

Blöd war nur, dass wir keinen exakten Abfahrtstermin wussten. Was daran lag, dass die Agentur, über die Klaus die Passage gebucht hatte, kurz zuvor Insolvenz angemeldet hatte. Es war ein wenig nervig, aber dann ging doch noch alles gut. Wir wurden, zusammen mit einem Schweizer Paar, mit einem "follow-me-car" auf Deck 6 der Grande Brasile geleitet, wo die Autos festgezurrt wurden und wir unsere kleinen, fensterlosen Kabinen auf Deck 12 beziehen konnten.

Nun ja, das ist keine Kreuzfahrt auf dem Traumschiff, es ist ein Frachter. Vollgeladen mit Containern, jede Menge neuer, etlichen alten Autos, riesigen Arbeits-Geräten und sonstigem Gedöns. Es riecht nach Diesel, Öl, Dreck und Arbeit.


Offensichtlich hatten wir eine Discounter-Linie gebucht - nein, wir hatten nur das Pech, eines der wenigen schwedischen Schiffe - unter der Flagge von Gibraltar - der eigentlich italienischen Reederei zu erwischen. Was in erster Linie bedeutet: ziemlich lausiges Essen. Es ist nur unwesentlich besser als zu Columbus' Zeiten, denke ich, nur ohne Schiffszwieback. Der Koch sowie die Besatzung unter Deck sind Philippinos, die restliche Mannschaft besteht aus Osteuropäern. Also keine italienische Küche, eher kommen ziemlich mißhandelte Lebensmittel auf den Tisch. Das Ganze ist recht fleischlastig und man fragt sich täglich, was die armen Tiere dem Koch getan haben, um derart malträtiert zu werden. Aber irgendwas ist dann immer doch noch essbar. Nöö, nicht gerade ein kulinarisches Highlight, aber wir sind auch nicht zum Vergnügen hier. Wir sind nur Fracht.


Das Wetter in Hamburg war mäßig, die Ausfahrt durch die Elbe am späten Nachmittag war dennoch ganz beeindruckend, man kriegte einiges von der Stadt zu sehen. Die nächste Station war Tilbury, der Hafen von London, der östlich in der Themse-Mündung liegt. Da genug Zeit war, konnten wir von Bord und sind mit einem Vorortzug in die Stadt gefahren. Wir wollten keinen Streß mit Sightseeing , sind einfach nur zum Tower und nämlicher Bridge gebummelt, was richtig Spaß machte. Es war Sonntag, die Sonne schien in Strömen, es war warm und die ganze Stadt war auf den Beinen. Zurück auf dem Schiff fanden wir neue Reise-Genossen vor. Ein Schotte mit seiner brasilianischen Frau, die eine geruhsame Reise zur südamerikanischen Familie machen. Ohne Auto, dafür mit Unmengen von Gepäck, wofür sie die Eigner-Kabine gebucht hatten. Die ist ein wenig luxoriöser als unsere winzigen Kajüten, hat vor allem Fenster und ein ordentliches Doppelbett - wir müssen mit schmalen Stockbetten vorlieb nehmen.

Weiter gings (kurioserweise wieder zurück) nach Antwerpen und auch da konnten wir in die Stadt. Nun zu 6t, aber leider bei ziemlich miesem Wetter. Grau, kalt, windig, regnerisch. Schade, denn wir hätten gerne ein wenig mehr von der Stadt gesehen. Für einen entspannten Bummel war es einfach zu ungemütlich. Aber einen traumhaften Schokoladen-Laden haben wir doch noch gefunden.

Danach war unsere Reisegesellschaft komplett. Es kamen noch zwei französische und ein niederländisches Paar an Bord. Der Kapitän und einige der Offiziere wechselten, was für uns insofern erfreulich war, als dass der Kapitän, ein älterer Kroate, gerne kocht, isst und Party macht. Ab sofort wurde das Essen um Einiges geniessbarer. Nun gab es keinen Stop mehr in einem europäischen Hafen, der Nächste war erst im Senegal, in Dakar.

Da lag unserem Frachter gegenüber ein riesiges deutsches Kreuzfahrtschiff und man staunte sich gegenseitig an. Der Lärm der diversen Discos an Bord schallte zu uns herüber, wir konnten an ihrem Bordkino - eine riesige Leinwand auf dem obersten Deck - teilhaben, aber neidisch auf Komfort und Entertainemnt war von uns niemand. Wir haben den Luxus von sehr viel Zeit und müssen uns nicht unterhalten lassen. Wir können ungehindert auf dem ganzen Schiff herumlaufen, auf der Brücke herumlungern und in den Häfen beim Ein- und Ausladen zugucken, was alles recht spannend ist. Da genug Zeit war, sind wir in Dakar von Bord gegangen und in die Stadt gelaufen. Die ist nicht wirklich spektakulär, wir hatten auch nur einen Vormittag Zeit, aber es reichte, um einen kleinen Eindruck zu bekommen.

Inzwischen wurde das Schiff "Afrika-fest" gemacht. Seitlich der großen Rampe, die zum Laden herunter gelassen wird, hing Stacheldraht, um zu verhindern, dass blinde Passagiere an Bord klettern. Auf dem obersten Deck wurden die Feuerwehrschläuche aktiviert, um eventuelle Eindringlinge damit abwehren zu können. Alles wurde abgeschlossen und wir bekamen jede Menge schicker Gimmicks. Malaria-Prophylaxe, später dann Mundschutz, Handschuhe, Desinfektionsmittel wg. Ebola. Sehr fürsorglich, aber die Infektions-Gefahr ist für uns ziemlich gering, so haben wir davon keinen Gebrauch gemacht.

Ein wenig aufwendiger waren unsere Nachtwachen in den nächsten Häfen. Unsere Autos standen in einem bisher abgeschlossenen Bereich, der inzwischen mit vielen LKWs für Conakry/Guinea aufgefüllt wurde. Wie uns der Kapitän sagte, könne man nicht für die Sicherheit der Autos garantieren, wenn das Deck offen ist. Da niemand von uns die tatsächliche oder nur vermeidliche Gefahr einschätzen konnte, haben wir eine abwechselnde Wache organisiert. Im Stunden-Rythmus waren immer 2 Leute von uns unten bei den Autos. Was in Conakry ziemlich abenteuerlich war. Auf unserem Deck stand ein großer LKW, den die afrikanischen Jungs einfach nicht von Bord bekamen. Nachdem
sie zuvor schon einen LKW ziemlich ramponiert hatten, haben sie mit diesem Auflieger wahrlich keine Heldentaten vollbracht. Lilo, die Schweizerin, und ich hatten Dienst, als sie versuchten, das Ding herunter zu bekommen. Zwar bin ich kein LKW-Profi, aber dass der Fahrer ständig falsch eingeschlagen hatte, konnte selbst ich erkennen. Mit dem Ergebnis, dass das Gefährt sich völlig verkeilt hatte. Mit einem großen Gabelstapler haben sie ihn irgendwie in die Spur gezogen, dann wurde wieder falsch gelenkt, mit einer Kette an einer Zugmaschine ging es auch nicht wirklich - es dauerte ca 3,5 Stunden, bis das Trumm endlich unten war. Und dann konnte der Rest der Fahrzeuge entladen werden, was aber auch ewig dauerte. Es war eine sehr lange Nacht für uns....

Da war es in Freetown/Sierra Leone doch entspannter, die Jungs hatten es wesentlich besser drauf. Wir kamen am Nachmittag an, die ganze Nacht wurde ent- und beladen und am nächsten Morgen waren wir schon wieder unterwegs. Und dann gins auf Hohe See, rüber nach Südamerika. Unterwegs hatten wir eine Menge Spaß, ständig war Party. Der Kapitän stand immer mal mit ein paar Flaschen da, kochte für alle und man saß beieinander. Marisa, die Brasilianerin, wurde unterwegs Großmutter und schmiss eine Runde Schampus, Allan, ihr schottischer Ehemann, hatte Geburtstag, der gebührend gefeiert wurde. Als wir Afrika hinter uns hatten, gab es eine große Grillparty an Deck für die gesamte Mannschaft. Und der Swimming Pool - naja, eher eine größere Badewanne - wurde aktiviert. Den Äquator haben wir leider in der Nacht überquert, so gab es dafür keine Festivität, aber am nächsten Tag bekamen wir eine schicke Urkunde.


Diese sehr langsame Art zu reisen ist fabelhaft. Alle paar Tage kommt eine Durchsage, dass die Uhren eine Stunde zurückgestellt werden sollen - also kein Streß mit Jetlag. Stiegen wir aufs Schiff mit Pullovern und Jacken, konnte man langsam auf mehr und mehr wärmende Kleidung verzichten, sich an andere Temperaturen gewöhnen. Und man guckt um den Äquator herum den Fliegenden Fischen von Deck aus zu...

Nach 6 Tagen auf See schlugen wir dann in Brasilien auf - der erste Hafen war Vitoria. Die Einfaht ist wirklich toll, es geht durch einen recht engen, sehr schönen Fjord zum Pier, was bei wunderbarem Wetter ein Genuß war. Nur in die Stadt zog es uns nicht, es war sehr heiß, man hätte in praller Sonne ziemlich weit laufen müssen. Wofür? Wir kriegen noch genug Brasilien zu sehen. Es ging weiter Richtung Rio de Janeiro und das Wetter wurde immer schlechter. Für die Stadt hatte der Kapitän einen Agenten kontaktiert, der eine Stadttour für uns organisieren sollte. Der Preis dafür erschien uns nur ein wenig zu hoch. So sind Klaus und ich am Ankunftstag in Rio sehr, sehr früh aufgestanden, um mit dem Mann zu verhandeln. Erfolgreich, so ist der ganze Trupp nach dem Frühstück in den Kleinbus geklettert, um einen Eindruck von Rio zu bekommen.

Na ja.... so richtig begeistert war ich nicht. Gut, das Wetter war nicht toll, aber Slums und Obdachlose sehen auch bei Sonnenschein nicht besser aus. Der berühmte Karneval ist in der Realität auch nicht so glitzernd und exotisch. Es gibt riesige Betontribünen in einem recht schäbigenViertel, durch das dann die Samba-Schulen tanzen. Und die Preise auf den Tribünen sind exorbitant - also nix für Otto Normalverbraucher. Ganz lustig ist die futuristische Kirche und die Treppe mit unglaublich vielen Kacheln aus aller Welt war einfach zu lang, um alles im Detail angucken zu können. Natürlich wollten wir auf den Corcovado zur berühmten Christus-Statue. Aber da hatten wir Pech, der war überwiegend im Nebel. Für winzige Momente war er mal zu sehen, ich habe ihn nur halbwegs von der Rückseite erwischt. Die letzte Station der Rio-Tour war die Copacabana. Ein netter Strand mit schicken Wellen und unfassbar vielen negroiden Menschen, die einem Sonnenbrillen, abenteuerliche Bikinis, Selfie-Sticks, Strandtücher, Erdnüsse, Musik und sonstigen Kram verhökern wollten. Das Verhältnis von Strandbesuchern und Verkäufern war ungefähr 1 : 1. Eigenartig: wenn man viel reist, relativieren sich die Dinge. Und ich denke, mit Rio habe ich nicht wirklich was im Leben verpasst. So hielt sich die Enttäuschung in engen Grenzen, weil wir es nicht mehr nach Ipanema geschafft hatten. Und auf die vielen Kirchen hatten wir eh keine Lust. Und sonst... nicht wirklich beeindruckend.

Am nächsten Tag waren wir in Santos, wo Allan und Marisa von Bord gingen, um ihre Familie in Sao Paulo zu sehen. Es gab einen umfangreichen, rührenden Abschied, denn die Beiden waren wirklich fantastische Reisegenossen. Brasilianisches Temperament und britisches Unterstatement - eine großartige Mischung!